Hegel , Weltgeist und „Apocalypse Tomorrow“

Der Weltgeist ist im bis anhin denkenden und auch im gegenwärtig denkenden Gehirn nicht mehr bei Hegel , noch weniger bei Habermas beheimatet.

https://www.zeit.de/2020/33/georg-wilhelm-friedrich-hegel-weltgeist-zivilisation-corona-pandemie

Das gegenwärtig denkende Gehirn ist an seinem biologisch evolutionären Ende angekommen.

https://hesch.ch/2017/10/20/alpha-go-zero-uebermenschliche-intelligenz/

Ob der Weltgeist existiert wie in der brillanten Analyse von Thomas Assheuer ausgeführt, ist eine brennende Frage unter den gegenwärtig Denkenden auf einem brennenden Planeten.

https://www.zeit.de/2020/33/georg-wilhelm-friedrich-hegel-weltgeist-zivilisation-corona-pandemie

Die Frage tangiert aber nicht nur die von Assheuer zitierten grausamen “ Staatsführer“, welche den Weltgeist vor sich her getrieben haben. Sie tangiert auch nicht mehr das gegenwärtig noch dominante westlich geprägte Macht-, Gesellschafts-, und Wirtschaftssystem, dessen rücksichtslose Ausbeutung von Menschen und des Planeten zum Zerfall der Weltgesellschaft führt. Der Zerfall der Demokratie wurde dadurch eingeleitet,- in den USA hat sie nie wirklich existiert.

(Zitat ZEIT Ulf 2 Autoren)

Ihre Wurzeln in der griechischen Philosophie sind vertrocknet in heimatlos gewordenen „ Denkern“ der Philosophie seitdem. Es gibt eigentlich keine weltverändernde Philosophen mehr, nur noch Denkende, die denken es gäbe sie noch.

Keine Philosophie, keine Welt Religion, keine Staatstheorie hat den von Hegel so erbarmungslos aufgeführten Weltgeist zur Vernunft bringen können .

https://hesch.ch/news/mensch-und-gesellschaft/240-24-12-2015-das-ende-der-philosophie

Die große Errungenschaft der französischen Revolution, welche zuletzt den Weltgeist befruchtet hatten, haben das Leben der Menschen nur in einigen Regionen des Erdballs erträglich gemacht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Franz%C3%B6sische_Revolution

Ihre Errungenschaften sind schon mit der Guillotine zerstört worden und diese ist immer noch Symbol für die Verbrechen der gegenwärtigen Staatsführer. Also auch in der französischen Revolution hat sich der Weltgeist, um vorwärts zu kommen, der Gewalt bedient.

Woher, also nimmt Thomas Assheuer

bei Habermas den Glauben an eine „vernünftige Form des politisch gesellschaftlichen Zusammenlebens“?

https://weltanschauungsrecht.de/meldung/rezension-habermas-geschichte-philosophie

„Die Emanzipation von der Religion, die Habermas in seinem neuen Werk für die Philosophie ins Licht rückt, ist bezogen auf den Staat und die Rechtsordnung bislang fragmentarisch und inkonsistent geblieben“

Der Habermas `sche Lernprozess über Religion und Staat ist ein sehr historischer aus dem Denken von gestern und für gegenwärtige Gesellschaftsentwicklungen nicht mehr relevant trotz des großen letzten Opus dieses Philosophen.

Vertanes riesiges Denken eines alten Denkers von gestern und Mitdenker von gestern.

Aus der Geschichte kann man lernen, dass man aus der Geschichte nichts lernen kann, auch nicht durch fortwährende Beschwörungen von gescheiterten Utopien, welche durchwegs niedergeknüppelt wurden.

Sucht der Weltgeist am Ende nach Hegel überhaupt eigentlich nach Freiheit und Vernunft? Ist Freiheit, sind Menschenrecht eine ultimative Notwendigkeit einer auch künftigen menschlichen Gesellschaft von der Achille Mbembe schwelgt und den Assheuer als wohlmeinenden Weltgeist für eine vernünftiger Form des politischen Zusammenlebens deklariert?

https://de.wikipedia.org/wiki/Achille_Mbembe

Ich denke, dass Mbembe grundsätzlich irrt ebenso wie Habermas. Denn sein Gedankengut erträumt noch immer eine „kommende Menschheit“ auf dem Boden Jahrhunderte alter Visionen und westlich gefärbter afrikanischer Utopien, deren Grundlagen in unserer aktuellen Welt schon seit Längerem zerfallen sind.

Hier setzen meine grundlegenden vorwiegend naturwissenschaftlich- biologisch begründeten Zweifel an ,denn ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Philosophie des bis anhin und gegenwärtig denkenden Gehirns nicht in der Lage war, das Dilemma der Menschheit zu lösen. Dieses Dilemma ist das von Conrad beschriebene „Grauen“ .

https://de.wikipedia.org/wiki/Herz_der_Finsternis

Dieses Grauen ist biologisch begründet und durch Denksysteme nicht aus der Welt zu schaffen.

Alles Übel, was Assheuer in der Folge des Hegel‘schen Weltgeistes redigiert, ist Folge des gescheiterten Denkens als Flucht aus dem Grauen. Keine Philosophie, keine Religion keine Gesellschaftstheorie, keine wie auch immer geartete Vision einer Utopie, kein „Gott“ hat das Grauen überwinden können und keine gegenwärtige Anstrengung wird eine „Apocalypse tomorrow“ überwinden.

https://hesch.ch/2018/04/04/gott-sei-dank/

Hier nähere ich mich dann wieder Hegel und seinem Weltgeist. Ich meine das Hegel im Weltgeist das Wirken des“ Grauen“ gesehen hat, aber es nicht zu Ende denken konnte oder sein Ende hat offen lassen bis zu dem, was der „Weltgeist“ in jüngster Zeit bewirkt.

https://hesch.ch/humanocide/

Nun rühre ich an der fundamentalen Frage: was ist das „Grauen“?, woher kommt das Grauen? und wie kann die Menschheit wenn überhaupt daraus entkommen. Das von mir immer wieder verwendet Wort Conrads „Grauen“ entspricht dem „Bösen“ bei Kant und Hannah Arendt.

Beginnen wir mit Kant

( seine Ansicht zum „radikal Bösen“ ist gut dargestellt in Wikipedia):

https://de.wikipedia.org/wiki/Das_radikal_B%C3%B6se#:~:text=Das%20B%C3%B6se%20bestimmt%20Kant%20als,f%C3%BCr%20ihn%20das%20Gute%20bestimmen.&text=Der%20Mensch%20hat%20also%20von,%3A%20AAVI%2C%2021).

Für ihn ist das Böse eine Option der menschlichen Freiheit entgegen den „objektiven Gesetzen der Sittlichkeit zu handeln“.

„Dieses Böse ist radical, weil es den Grund aller Maximen verdirbt: zugleich auch als natürlicher Hang durch menschlich Kräfte nicht zu vertilgen, weil diese nur durch gute Maximen geschehen könnte, welches , wenn der oberste subjektive Grund aller Maximen als verderbt vorausgesetzt wird, nicht stattfinden kann; gleichwohl aber muss er zu überwiegen möglich sein, weil er in dem Menschen als frei handelndem Wesen angetroffen wird“

Dass diese Aussagemit einem modernen Freiheitsbegriff nichts zu tun hat zeige ich. Kant definiert einen „Hang“ zum Bösen, den der Mensch immerhin von Natur aus habe , um damit “wider Gesetze der Pflicht zu vernünfteln und ihre Gültigkeit in Zweifel zu ziehen.“, auch das widerspricht meinen Erkenntnissen. Kant setzt diesem „Bösen“ seinen bekannten kategorischen Imperativ entgegen, d.h. eine Achtung für das „moralische Gesetz“. Die Empfänglichkeit der Achtung für das „moralische Gesetz“ postuliert er als er als Diktum eines Resultats der menschlichen Vernunft.
Dieser Gedankengang ist eigentlich nicht nur Kant eigen. Er zieht sich schon Jahrtausende durch die Tradition aller Weltreligionen der Menschheitsgeschichte , um zuletzt im „Weltethos“ anzukommen.

https://www.weltethos.org/was_ist_weltethos/

Diese kulturelle Imperative („Gesetze“) ist menschengemacht ,ebenso wie die Erfindung von „Gott“, um aus der Not vom „Grauen des Bösen“ zu entkommen. Sie sind keine Naturgesetze, wie man nach Kant annehmen dürfte, es sind Fluchtwege des menschlichen Gehirns aus dem Grauen.

Die Kant`sche Vernunft ist auch nicht freiwählbar als Akt einer „intelligiblen Tat“ , wie er postuliert. Da komme ich wieder zum Freiheitsbegriff.

Der Mensch als biologisch- soziales Wesen ist nur unter bestimmten Lebensumständen in der Herstellung seiner geistig „moralischen“ Entscheidungen frei. Neurobiologisch kann solche Freiheit des Denkens sogar angefochten werden. Lebensumstände zur “ freien Entscheidung“ können in konstruierten Szenarien völlig diskreditiert werden, in denen der Mensch die Freiheit verliert, das Böse nicht tun zu müssen, oder durch Lebensumstände gezwungen wird, seine Freiheit zur reinen Vernunft des sittlichen Handelns aufzugeben.

Am wirksamsten ist das Böse, wenn es an die Existenz eines Menschen rührt (Arendt).

Das Böse ist , das Böse tun zu müssen und diesem Zwang nicht entrinnen zu können, wenn man sozusagen „entmenschlicht“ ist. Ich meine: „Das Böse ist die destruktive Macht über die Existenz eines anderen, welcher derselben nicht entrinnen kann, allenfalls durch völlige existentiale Selbstaufgabe“ . Dies hat Hannah Arendt für die KZ Insassen beschrieben . Die Entmenschlichung geschieht auf beiden Seiten :Täter und Opfer.

Ich werde meine Auffassung darüber beschreiben, dass das Gauen des Bösen eine biologisch- evolutionäre Codierung des menschlichen Gehirns ist, welche „situativ“ in jedem Menschen hervorgebracht werden kann.

Das Milgram Experiment hat uns dies gelehrt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment#:~:text=Das%20Milgram%2DExperiment%20ist%20ein,direktem%20Widerspruch%20zu%20ihrem%20Gewissen

Kant und alle Philosophen vor ihm haben uns nicht helfen können.

Fahren wir also fort mit Hannah Arendt:

Ich muss zugeben, dass ich das Lesen ihrer Bücher abgebrochen habe, auch ihr seltsames Verhältnis zum Antisemiten Heidegger, hat mich schon lange bezüglich der Berechtigung zur Autorität über das Thema zu schreiben, verstört. Ihre Vorstellungen von Gewissen und Willen in Bezug zum Bösen, welche sie in allen philosophischen Facetten erörtert, bringen mir keine neuen Erkenntnisse, die es aber aus der neurobiologischen Forschung gibt.

Auch sie äußert sich zu Freiheit und Tat, sie betont, dass “ wir auch nicht wissen können, ob wir frei sind ,wenn wir beginnen zu handeln, (aber) dass es dennoch etwas gibt, das nicht von irgendetwas bestimmt und doch willkürlich ist“ , weiter sei der freie Wille des Menschen “ein Vermögen durch das er, unabhängig von Notwendigkeit und Zwang, ja oder nein sagen kann, das tatsächlich Gegebene anerkennen oder ablehnen kann, auch sein eigenes Selbst und seine Existenz; und daß dieses Vermögen bestimmen wird, was er tun wird“.

Da setzen meine Vorstellungen zur Freiheit des Handelns an. Arendt vergräbt sich in die Widersprüche der von ihr traktierten griechischen Philosophen und Nietzsche und findet dort keinen modernen Ausweg. Das Grauen des Bösen ist keine „Grenzerfahrung“ des Denkens, dieses ist metaphysisch ruiniert, weil eben es auch biologisch keine solchen Grenzen gibt.

Wenn sie schreibt, dass die Fähigkeit der Erinnerns diejenige ist, die alles Übeltun verhindert und dass die größten Übeltäter diejenigen sind, die sich nicht erinnern“, so ist das der Verarbeitung des Holokaust geschuldet. Diese „Erinnerung“, wenn sie denn überhaupt eine historische Rolle spielt, erscheint mir völlig irrelevant geworden zu sein, wenn man die Diskrepanz zwischen dem politisch moralischen Erinnern und des „Nie wieder“ , welches in der BRD dem Volk seit Jahrzehnten „verordnet“ wurde und dem allgegenwärtigen Fremdenhass und Antisemitismus ausleuchtet. Welche Diktatoren erinnern sich gegenwärtig in Russland, im Vorderen Orient, in Afrika, in USA und Südamerika des „Übeltun“, was sie täglich verrichten: Dieses „Erinnern“ scheint mir eine Arendt `sche Illusion. Verhängnisvoll scheint mir der folgende Satz: “Über Macht verfügt niemals ein Einzelner, sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur so lange existent, als die Gruppe zusammenhält. Wenn wir von jemand sagen, er ‘habe die Macht’, heißt das in Wirklichkeit, dass er von einer bestimmten Anzahl von Menschen ermächtigt ist, in ihrem Namen zu handeln. In dem Augenblick, in dem die Gruppe, die den Machthaber ermächtigte und ihm ihre Macht verlieh, auseinandergeht, vergeht auch ‘seine Macht’.” Dem ist nach historischer und gegenwärtiger Erfahrung sicher nicht so.

Die Indifferenz, die „Unfähigkeit durch Urteil zum anderen in Beziehung zu treten“, sich mit „Macht“ seiner Existenz nicht destruktiv zu bemächtigen, ist das Menetekel der Weltgeschichte zur nie gehabten Freiheit zum Guten.

Das Böse ist alles andere als „banal“, nur , weil es seit eh und je die sich zivilisiert glaubende Weltordnung mit grausamen Gesten aus den Angeln hob und noch immer heben wird.

Auch bei ihr ist der „Wille zum Handeln“ ein zentrales Thema,- ich aber meine den „Freien Willen“. Hier schreibt Arendt: „Der freie Wille des Menschen sei ein Vermögen, durch das er, unabhängig von Notwendigkeit und Zwang, ja oder nein sagen kann, das tatsächlich Gegebene anerkennen oder ablehnen kann, auch sein eigenes Selbst und seine Existenz; und daß dieses Vermögen bestimmen wird, was er tun wird”. Das muss man heute anders sehen.

Was aber ist der „Freie Wille“ in moderner , mehr wissenschaftlicher Sicht:

 

Ich möchte nicht mehr die Erörterungen der unbedingten und deterministischen Willensfreiheit der Philosophie durchgehen, erwähne aber Schopenhauer :“Der Mensch könne tun, was er will, aber er könne nicht wollen, was er will“, das ist mir etwas zu viel Rhetorik, deutet aber schon die Möglichkeit an, dass der freie Wille einer offenen Komplexität gehorcht. Ich meine auch , dass Hobbes irrt. Er führte beides zusammen mit dem Kompatibilismus , wonach eine Person dann frei handelt, wenn sie eine Handlung will und auch anders handeln könnte, wenn sie anders handeln wollte. Dieser „Wille“ ignoriert die unterbewusste Programmierung von „Vorwille“, welcher nach heutiger Erkenntnis nur einen engen Entscheidungsraum für freies Wollen erkennt und jenseits des kortikalen Handlungswillens programmiert ist.

Das leitet über zu der neurobiologischen Forschung, mit welcher man dem Problem wissenschaftlich und nicht mehr nur philosophischem Denken folgend näher kommt.

Dazu dienen Bildgebungen durch Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET)

https://de.wikipedia.org/wiki/Positronen-Emissions-Tomographie#:~:text=Die%20Positronen%2DEmissions%2DTomographie%20(,um%20eine%20Variante%20der%20Emissionscomputertomographie.

und der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT)

https://de.wikipedia.org/wiki/Funktionelle_Magnetresonanztomographie#:~:text=Die%20funktionelle%20Magnetresonanztomographie%2C%20abgek%C3%BCrzt%20fMRT,der%20Magnetresonanztomographie%20(MRT)%20darzustellen

Mit diesen Methoden kann man am Lebenden die neuronalen Vorgänge verfolgen, welche das Gewollte des Willens zeitlich und örtlich mit der folgende Handlung koppelt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die grundlegende Komposition für Verhalten nicht im bewussten Cortex der Großhirnrinde programmiert wird, sondern in subcortikalen Systemen des Unterbewusstseins. Ein wichtiges Sytem ist das limbische System , ein entwicklungsgeschichtlich sehr alter Teil des Gehirns mit mehreren Strukturen: Hippocampus, Gyrus cinguli, Gyrus parahippocampalis, die Amygdala und das Corpus mammillare sowie Teile des Thalamus. Programmiert werden dort Funktionen von Antrieb, Lernen, Gedächtnis also unterbewusste Komponenten des „Willens“. Eingelesen werden solche Komponenten in eine Bibliothek unterbewusster Lebens und Erinnerungsinhalte entlang der Biographie via dem „apperzeptiven System“, welches ich im „Lehrbuch Endokrinologie, Teil I“ beschrieben habe. Die unterbewusste Vorprogrammierung von Wille, – und damit letztlich des „Bösen“, erfolgt als das Scannen einer biographischen Bibliothek in phylogenetisch alten Systeme des Gehirns. Der dort gespeichert Erfahrungsinhalt des Lebens kann beim ausgereiften Menschen nur wenig (oder gar nicht?) modifiziert werden. Dass ist wichtig für spätere Überlegungen zu Tat und Schuld.

Neuer Wille wird dort abgescannt , zum Cortex transportiert und kann dort in bewusste Handlung übersetzt werden.

Zwischen dem Scannen im unbewussten limbischen System und dem Transport zu bewusster Information im Cortex vergeht Zeit. Experimente von Libet zeigten dass diese „Wegzeit“ etwas 550 ms dauern kann.

https://de.wikipedia.org/wiki/Libet-Experiment#:~:text=Im%20Libet%2DExperiment%20wurde%20gezeigt,Ausf%C3%BChrung%20dieser%20Bewegung%20entschieden%20hat.

Das Libet Experiment wurde auch angegriffen. Immerhin bestünde zwischen Willen und Handlung der Zeitraum eines „Vetorechts“, dieses kann bis etwa 200 ms vor der Handlung eingesetzt werden, um diese zu modifizieren. Damit komme ich zum Schluss, dass die in der unterbewussten biographischen Bibliothek abgelegte „Absicht“ zeitversetzt im Cortex modifiziert werden könnte: das ist der eigentlich freie Wille. Dieser besteht aber nur solange bis vom Vetorecht Gebrauch gemacht wurde,- danach ist eine Umkehr nicht mehr möglich, das ist der “ point of no return“ von Haynes

https://www.faz.net/aktuell/wissen/ist-das-gehirn-fremdgesteuert-endlich-befreit-14034210.html.

Unabhängig von der Diskussion der Experimente von Libet und Haynes ob und wie der freie Wille entsteht, besteht aber die Frage, welcher Art und Inhalts die sog. freien Entscheidungen sind, was beeinflusst den „Charakter“ derselben , welcher Qualität können sie sein?

Es ist eine völlig offene Frage, ob die Qualität dieses Vetorechts „trainiert“ werden kann z.B. durch die sog. „Selbstkontrolle“, also eine erlernte Modifikation des unbewussten Informationsspeichers, den ich oben aber beim ausgereiften Menschen als für irreversibel verdrahtet halte. Selbstkontrolle beim ausgereiften Erwachsenen kann es danach nicht geben. Das wird für das Denken des „Bösen“ relevant werden, auch im Hinblick auf das Milgram Experiment und eben für Überlegungen zu Tat und Schuld. Damit kommen für die Prägung der unterbewussten biographischen Bibliothek frühe Phasen des Lebens, der Embryonalzeit, der Geburt, des Lernens , der Erziehung und der Umgebungseinflüsse ins Spiel. Dies sind in der bisherigen Literatur zum freien Willen, soweit ich das überblicke, nicht erörtert. Es fehlt auch in der Diskussion der Einfluss des Sexualsystems, der Genetik und Epigenetik, welche gleichwohl eine enorme Bedeutung haben.

Das Böse ist männlich

Hinter dem Grauen des Bösen stecken Gewalt und Macht. Hanna Arendt hat das sicher geahnt, aber konnte mögliche Ursachen ihrer Zeit nicht ausreichend thematisieren. Die von ihr beschriebene „totale“ Herrschaft beschreibt ein System, das aus heutiger Sicht auch noch aktuell ist, weil zeitlos.

Hinter allen Herrschaftssysteme stecken aber immer Einzelmenschen und deren Gefolgschaft. Ich möchte also das Böse herunterbrechen auf sein Entstehen im Individuum als Kristallisationspunkt in jedem System totaler Herrschaft. Auch in großen Volksbewegungen, welche totale Herrschaft generiert haben und noch immer generieren , sind es immer Einzelmenschen,- Männer- , die den Funken des Bösen in ihrem Gehirn zum Feuer entzünden. Da helfen auch keine von Arendt zitierten Philosophen weiter, denn, wie ich schon schrieb, mit „Denken“ lässt sich das Problem heute nicht mehr lösen, sondern wir müssen herausfinden, wie das Böse ontogenetisch im Gehirn entsteht und das dann, wenn möglich, auf die Phylogenese übertragen im Versuch einer biologischen Systematik entlang der Menschheitsgeschichte.

90% aller Gewalttaten auf den ganzen Welt wurden und werden von Männern begangen. Hier nur ein paar moderne Beispiele der brutalsten, aber wir brauchen ja nur in den Weltalltag zu sehen , um die gegenwärtigen zu entdecken, denn böse Männer sind „unsterblich“:

Liste der 10 brutalsten Diktatoren der modernen Geschichte

Das Böse ist die Folg einer unkontrollierten Aggression und Gewalt,- das Vetorecht des freien Willens wird im Falle nicht benützt. Gene und Testosteron modulieren die subcortikale Bibliothek im limbischen System und deren zeitabhängiger Projektion in Cortex Regionen bei der willentlichen Planung von „Handlung“. Bei den Genen ist der Polymorphismus des MAOA Enzyms als eine der möglichen Komponenten von Aggression im Gehirn von Männern bisher gut untersucht. Endogenes Testosteron agiert proaktiv in diesem System.

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32670031/

https://www.futuremedicine.com/doi/full/10.2217/epi.10.40

Neben den genetischen Untersuchungen haben bildgebende Untersuchungen gezeigt, dass ungefähr 20 bis 25 % der Normalbevölkerung strukturelle Veränderungen im Gehirn haben ähnlich wie Gewalttäter ohne, dass sie bei Integration in eine friedfertige Umgebung auffällig würden. Im Frontal- und Schläfenlappen, den Zentren für Angst und Kontrolle, moralisches Verhalten, finden sich Zonen der Minderdurchblutung bei Gewalttätern. Das Milgram Experiment hat gezeigt, dass solche Veränderungen in gewaltbereiten Situation auch bei sonst „unauffälligen“ Menschen proaktiv werden können.

James Fallon hatte in seiner aufwühlenden genetischen und bildgebenden Analyse des Gehirns eine Ansammlung von gewaltcodierenden Genen und Hirnarealen,- eine Neuvermessung des Bösen am „unauffälligen“ Menschen.
https://www.theguardian.com/commentisfree/2014/jun/03/how-i-discovered-i-have-the-brain-of-a-psychopath

In seinem Erbgut findet er gleich mehrere Krieger-Gene. Und sein Hirn Scan zeigt eben einige Bereiche wie bei Gewalttätern.

„Ich habe den Hirn Scan von jemandem, der kein Gewissen hat, keine Moral, der impulsiv ist. Ich bin impulsiv. Aber nur, weil mein Gehirn so aussieht, heißt das nicht, dass ich mich auch kriminell verhalte. Nein! Ein Gehirnscan allein sagt nichts aus. Auch die Gene sagen nichts aus. Beides zusammen machen die Sache vielleicht ein bisschen klarer, aber noch lange nicht eindeutig. Es gibt noch einen dritten Faktor, und der ist entscheidend: Die Umwelt. Wenn man in einem schlechten Umfeld aufwächst, wenn man geschlagen oder missbraucht wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man tatsächlich zu einem Gewalttäter wird. Auf der anderen Seite kann ein gutes Umfeld die anderen Risikofaktoren, die Gene und das Gehirn, offenbar aushebeln. Dann wird man zu jemandem, der sehr erfolgreich ist. Und ich war immer erfolgreich, in allem, was ich getan habe.“

Wann aber in der Biographie eines Mannes tritt das ein? Die Phase der Pubertät ändert den wesentlichen Zustand der biographischen Bibliothek auf dem Wege des Jungem zum Mann.

In dieser Lebensphase sind Umgebungseinflüsse das Wesen des Mannes prägend. Früher Lebensstress, chronische, psychologische Fehlbehandlung , Missachtung, Provokationen und Unterdrückung sowie eigenes Gewalterleben prägen das testosteronabhängige neuroendokrine System im limbischen System,- und zwar wie oben schon geschrieben irreversibel,- das beschriebt auch James Fallon.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26494515/

Metaphysisch ist die Pubertät die Periode , wo der heranwachsende Mann das „Paradies“ verlässt und sich entweder sozial friedfertig,- „unschuldig“ integriert oder gewalttätig,- „schuldig“- veranlagt werden kann. Immer aber besteht auch im letzteren Fall vor der Handlung die Möglichkeit des „Vetorechts“ und es ist das „Gewissen“, was in diesem kurzen Zeitraum entscheidet.

Zum Schluss hier noch: Epigenetik

Oben habe ich beschrieben, dass Gewalt im frühesten Lebensalter die biographische Bibliothek prägen kann. Perinatale Gewalt führt zu epigenetischen Veränderungen, welche “disruptives” Verhalten im späteren Leben beeinflussen können.
https://acamh.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1469-7610.2010.02211.x

Epigenetische Prozesse können die Genexpression modifizieren und diese Modifikationen können entgegen dem langen Dogma, dass das nicht der Fall sein kann, vererbt werden und das über Generationen hinweg. So kann Gewaltbereitschaft frühen epigenetischen Modifikationen zugeordnet werden. Epigenetische Veränderungen sind plastischer als Grenzveränderungen z.B. am MAOA- Gen, letztere sind irreversibel, wie beschrieben, epigenetische Modifikationen im gewaltbreiten Gehirn könnten veränderbar sein, (Therapie , Training?) aber dazu gibt es keine Studien.
https://www.futuremedicine.com/doi/full/10.2217/epi.10.40
https://www.dw.com/en/unlocking-violent-crime-through-epigenetics/a-45964140

Vier Gene können epigenetische Veränderungen zur Gewaltbereitschaft tragen: Kernrezeptor Gen (NR3C), Oxytocin Rezeptor (OXTR), die Familie der SLC-Transporter Gene (SLC6A4) und das schon erwähnte MAOA- Gen.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6008527/

Kinder, welche Gewalt ausgesetzt wurden altern z.B. schneller.
https://www.nature.com/articles/s41598-017-09235-9

Zusammenfassung:

Zusammenfassend muss man heute das „Böse“ in der Menschheitsgeschichte als Resultat einer komplexen biologischen und biographischen Interaktion des Genoms und des Epigenoms mit der ontogenetischen und epigenetischen Maturation sowohl des Individuum als auch der Gesellschaft in der menschengestalteten Umwelt sehen.

Wie entkommt die Menschheit der Schlinge des „Grauen im Bösen“?

Ich habe dargestellt und wiederhole: Durch keine Religion, Weltanschauung, Philosophie oder Staats- und Gesellschaftstheorie konnte das Grauen des Bösen in der Weltgeschichte und Gegenwart besiegt werden. Das ganze „Denken“ mit seinen Utopien und Visionen über Jahrhunderte ist weitgehend wirkungslos geblieben. Diktatur, Ausbeutung, Terror, Folter, und anhaltende historische Gewalt in allen Staaten und Gesellschaftsschichten, „beleben“ die Menschheitsgeschichte bis in unserer Gegenwart. Das reicht bis in die kleinste Einheit der Gesellschaft: die Familie. Demokratie , wo sie noch existiert, hat nur wenigen ein hoffnungsvolles Leben vermittelt. Rücksichtslose Ausbeutung des Planeten und des größeren Teils der Weltbevölkerung sind unverändert Alltag. Ich habe mir Mühe gegeben, die Ursachen des Bösen auf eine ganz andere Erklärungsebene zu bringen. Eine neurobiologische Soziologie erscheint mir der einzige Zugang zu sein, mit welchem man das Böse verstehen kann und ganz neue, revolutionäre Modelle zu seiner Eindämmung organisieren kann. Ich komme am Ende meines Lebens zu der mich völlig verstörenden und erschreckenden Schlussfolgerung:

„Um die Menschheit aus dem Grauen des Bösen zu erlösen, bedurfte und bedarf es weder der Menschenrechte noch des aus dem abendländischen Denken entstandenen Freiheitsbegriff, der in dieser Welt als das höchst Gut gepriesen wurde und wird. Diese beiden historischen Errungenschaften dienten einer Minorität der Menschen, um den großen Rest der Menschheit, die sich verschiedenen Gesellschafts- und Staatsformen leben, über Jahrhunderte auszubeuten und den Planeten jetzt zum Brennen zu bringen.“

Teil II

Im Teil II werde ich ein neues Modell zur Überwindung des biologisch bedingten Übels der Menschheit,- dem „Bösen“ entwerfen. Es setzt an einer strukturellen Neugestaltung der menschlichen bio- sozialen Existenz an. Dies scheint mir der einzige gegenwärtig denkbare Ausweg aus dem Grauen des Bösen in der Menschheitsgeschichte zu sein.

 

 

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